Pädagogik LK Herder-Gymnasium Minden

Fallbeispiel Tobias

Tobias ist ein achtjähriger Junge, der durch enorme Verhaltensschwierigkeiten auffällt. Er hält sich an keine Gesetze und Regeln und stört den Unterricht. Auf Grund Tobias Leistungsverschlechterung in Folge seines Betragens läd die Lehrerin die Eltern zum Gespräch ein. Dabei stellt sich heraus, dass die Erziehungsstile der beiden völlig unterschiedlich ist. Die Mutter ist gutmütig,nachsichtig und inkonsequent, während der Vater versucht, konsequenter und strenger zu sein. Tagsüber ist der Vater arbeiten und überlässt der Frau die Kindererziehung. Tobias muss, wenn der Vater Abends nach Hause kommt, seine versäumten Arbeiten unter strenger Beaufsichtigung nachholen, was Tobias öfters zum Weinen bringt. Dies veranlasst die Mutter dazu, sich auf die Seite ihres Sohnes zu stellen und Misserfolge vor ihrem Mann zu verbergen. Das unterschiedliche Erzieherverhalten löst Verwirrung bei Tobias aus. Da es für Tobias bequemer ist, stellt dieser sich auch auf die Seite der Mutter, wobei er lernt, den Vater regelmäßig hinters Licht zu führen und das man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss. Dieses Verhaltensmuster überträgt Tobias nun auf seinen anderen sozialen Kontext, wie z. B. seine Schulklasse. Er merkt, dass er durch sein Verhalten eine Menge Aufmerksamkeit von der Lehrerin und Bewunderung der Mitschüler erlangt. Die Gespräche zwischen Mutter und Lehrerin führen zu noch mehr Fürsorge der Mutter und veranlassen, das Tobias noch weniger selber machen muss. Beim Vater führen die Defizite seines Sohnes dazu, Tobias noch härter anzupacken und seiner Frau Vorwürfe zu machen, Dies verstärkt wiederum das Bedürfnis der Mutter ihren Sohn noch mehr zu beschützen.

Symptome werden als verzweifelte Versuche gesehen, mit emotionalem Stress oder destruktiven Interaktionen zurechtzukommen. Es sind also Problemlöseversuche, die jedoch Probleme schaffen oder aufrechterhalten. Symptome haben immer eine Funktion, auch wenn diese nicht direkt erkennbar ist.
Verengter Fokus:
1. Ebene: Verhaltensschwierigkeiten werden als isolierte Eigenschaften beschrieben (z.B er ist „ungezogen“). Verhalten wird ohne Wertung geschildert.
2. Ebene: Fokus wird erweitert, so das Kausalaussagen mit einbezogen werden können. Es besteht allerdings die Gefahr der schnellen Schuldzuweisung (z.B „Weil die Mutter Tobias bei den Hausaufgaben stets hilft, hat er nicht gelernt, sie selbstständig zu machen).
3. Ebene: Fokus erweitert sich nun auch auf das Blickfeld der zweiten Person (Mutter) und den Einfluss der ersten (Tobias) auf diese. Es können nun auch Beziehungsaussagen getroffen werden. (Standpunkte beider Betroffenen werden betrachtet).
4. Ebene: Nochmalige Fokuserweiterung auf zusätzlich involvierte Personen und deren Interaktionen (z.B Vater, Mutter + Tobias).

Funktionen des Symptoms in der Schule (Am Beispiel Tobias):

• Er erhält Aufmerksamkeit und Zuneigung
• Mutter ist Ersatz für den Vater
• Vater wird als möglicher Helfer für die Beseitigung der Schwierigkeiten immer wichtiger, da Mutter mit den Problemen alleine nicht fertig wird
• Tobias Probleme lenken vom Konflikt der Eltern ab
• Tobias Probleme könnten die Eltern zusammenschweißen
• Vater muss sich mehr mit Tobias auseinandersetzen, als wenn alles gut liefe

Jedes Symptom hat also zwei Seiten, eine destruktive (nach außen Sichtbar) und eine konstruktive (verdeckte) Seite.