Pädagogik LK Herder-Gymnasium Minden

Die sensiblen Phasen beschreiben den Erwerb und die Entwicklung bestimmter Kompetenzen und Fähigkeiten, wobei jede einzelne Stufe mit körperlichen und geistigen Merkmalen verbunden ist. Die Phasen zeigen sich in bestimmten Lernbereitschaften während der einzelnen Entwicklungsstufen und sind reifungs- und lernabhängig.

Montessori legte den Schwerpunkt darauf, das Kind von Geburt an in physischer Entwicklung zu unterstützen und ihm den Weg zur Unabhängigkeit vom Erwachsenen zu ermöglichen. Die Erziehung kann laut Montessori nur gelingen, wenn alle Phasen beachtet werden und das Kind zu keinem Zeitpunkt weder über- noch unterfordert wird. Den Zustand der konzentrierten Zuwendung zu einem Gegenstand wird als Polarisation der Aufmerksamkeit bezeichnet. Dieses Montessoriphänomen meint die totale Konzentration eines Kindes auf einen selbst gewählten Gegenstand, die erst dann nachlässt, wenn das Kind die selbst gewählte Aufgabe als gelöst ansieht. Während dieser tiefen Aufmerksamkeit lassen sich die Kinder von dem Geschehen in der Umwelt nicht ablenken und handeln unabhängig von ihr.
Maria Montessori ging davon aus, dass die Konzentration einen inneren Ursprung hat und daher dann auftritt, wenn der Mensch sich aus Interesse einer Sache hingibt. Das Erziehungskonzept wurde darauf ausgerichtet, diese Konzentration zu erreichen, weil sie diese als Schlüssel der Pädagogik ansah.

Die Stufen der Polarisation sind in drei Phasen unterteilt. Zunächst die Vorbereitung, in der das Kind sich einen Gegenstand aussucht, mit dem es sich beschäftigen möchte und den Arbeitsplatz vorbereitet, indem es Hilfsmittel oder ähnliches holt. Zur Vorbereitung zählt auch, dass der Lehrer dem Kind eine kurze Anleitung und Hilfestellung gibt, falls es den Gegenstand nicht kennt. Darauf folgt die Phase der großen Arbeit. Das Kind wird eins mit dem ausgewählten Gegenstand und lässt sich durch nichts mehr ablenken. Durch die Bewegung der Hände wird die geistige Entwicklung unterstützt und perfektioniert seine Fähigkeiten. Als letztes kommt die Stufe der Ruhe und des Ausruhens. Die Aufgabe oder das Problem ist gelöst und das Kind ist nun ausgeglichen und zufrieden. Die kindliche Motivation wird gestärkt und es entwickelt Freude am Tun. Dieses Kind bezeichnet Maria Montessori als normalisiertes Kind.

Eine der Hauptaufgaben des Lehrers ist die vorbereitete Umgebung, damit das Kind selbstständig arbeiten kann. Es gilt für Lebens-, Lern- und Entwicklungsraum, die für die Kinder angepasst sind. Das Kind entwickelt anhand von bereitgestellten Entwicklungsmaterialien seine Fähigkeiten, so zum Beispiel Lerngelegenheiten für Schulfächer, Sinnesschulung, Pflanzen- und Tierpflege und die Anleitung zur Pflege einer Person. Alle Materialien bauen aufeinander auf und stellen eine Leiter mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen dar. Maria Montessori verlangte für die Materialien strenge Kriterien, so sollten sie Entwicklungsgemäßheit, didaktische Kontinuität und auch Einbezug der Sinne und Bewegung beinhalten. Die Unterrichtsgegenstände müssen Wiederholungen und variantenreiche Anwendungen ermöglichen. Aufgrund der Einteilung der Arbeitsmittel nach Sachgebieten bahnt sich die Hinführung zu den Wissenschaften an.

Die schon in Zügen angesprochene freie Wahl bedeutet freiwilliges, spontanes Arbeiten ohne Zwang, frei von Angst, Leistungs- und Gruppendruckhandeln. Die Kinder müssen dieses freie Entscheiden erst lernen und dies ist der Weg der Entdeckung eigener Fähigkeiten. Das Kind wählt die Zeit, Dauer, den Platz und die Art der Beschäftigung mit einem Gegenstand, jedoch ist diese Freiheit nicht grenzenlos. Sie hört dort auf, wo die Freiheit der anderen anfängt und ist somit beschränkt. Zusätzliche Grenzerfahrung macht das Kind dadurch, dass jedes Material nur einmal vorhanden ist. Erst, wenn das Kind Meister seiner selbst ist, hat es seine Freiheit erlangt.

Eng mit der freien Wahl korrespondiert die Selbsttätigkeit und Bewegung. Fähigkeiten entwickeln wir aufgrund von Aktivität. Selbsttätigkeit und Bewegung sind wichtig für die physische und psychische Entwicklung, wie zum Beispiel Intelligenz, Willen, Charakter und Unabhängigkeit. Mit Bewegung setzt man sich mit der Umwelt auseinander und auf diese Weise entwickeln wir Intelligenz. Für das Entdecken der Umwelt spielen die Hände eine wichtige Rolle. Sie passen sich den Dingen der Umwelt an und die Dinge der Umwelt passen sich auch der Hand an, daher hat die Hand- und Fingerfertigkeit eine wichtige Bedeutung.

Ein wichtiger Aspekt in der Pädagogik ist zudem die Selbstständigkeit durch Selbsttätigkeit. Die Selbsttätigkeit und Bewegung unterstützen das Streben nach Unabhängigkeit. Geordnete und sinnvolle Bewegungen sind Ausdruck eines denkenden, wollenden Ichs. Die Kinder müssen spontan handeln und denken dürfen, um lernen zu wollen und ihre Bewegungen zu organisieren. Durch zweckgemäße und zielgerichtete Koordination entwickelt sich Disziplin, mit der das Kind seine Bewegungen den Ereignissen anpassen kann. Die angepasste Umgebung und die freie Wahl kommt dem Bewegungsdrang des Kindes entgegen, den es nicht mit Lärm und Chaos beruhigt, sondern mit freier Arbeit. Mit Hilfe der Übung der Stille können die Bewegungen des Kindes koordiniert und die seelische Ruhe trainiert werden. Bei dieser Übung wird die Konzentration auf jeweils einen Sinn beschränkt und so die Wahrnehmung geschärft, sodass Dinge erfahren werden, die sonst unbekannt bleiben. Eine weitere Übung ist das Gehen auf der Linie. Die Kinder gehen auf einer Ellipse die auf den Boden geklebt ist. Sie müssen das Gleichgewicht halten und auf die Bahn achten, hierdurch verfeinern sie ihre Bewegungen und erfahren eine innere Ruhe.